Post(en)demokratie bei den Grünen
Die Grünen waren bei ihrer Gründung vor allem eine basisdemokratische umwelt- und friedensbewegte Partei. Ihnen waren Grünflächen wichtiger als Interessen der Investoren, und sie engagierten sich in vielen Bürgerinitiativen. Damals…
Die meisten Vorsätze wurden längst über Bord geworfen.
Seitdem die Grünen die größte Fraktion in der Bezirksversammlung HH-Nord und damit den Bezirksamtsleiter sowie die Vorsitzende der Bezirksversammlung stellen, scheint es, als sei auch das letzte Bisschen Respekt vor der Demokratie abhanden gekommen.
Dafür haben sie aber viele Posten besetzt.
Früher war den Grünen die Beteiligung der Bürger*innen wichtig: Beim Bürgerbegehren zum Mühlenkampkanal etwa stritten sie noch dafür, dass der Senat nicht evozieren, also die Entscheidung autoritär an sich ziehen konnte.
Nunmehr geht der grüne Bezirksamtsleiter zum Senat und bittet darum, dass dieser den Bezirk anweisen möge, das Bauvorhaben am Diekmoor (siehe S. 1) umzusetzen.
Offensichtlich war der große Unmut der Menschen im Bezirk sowie die „Gefahr“ eines Bürgerbegehrens vorhersehbar. Durch eine Weisung des Senats an den Bezirk ist eine Entscheidung der Bezirksversammlung (BV) obsolet und damit ein Bürgerbegehren unmöglich.
Die BV kümmert sich um Belange des Bezirks, die in der Zuständigkeit des Bezirksamtes (BA) liegen. Sie ist das gewählte Kontrollorgan des Bezirksamtes und kann Verwaltungshandeln beschließen. Was könnte da wesentlicher sein als das Bezirksamt selbst?
Dass das BA umziehen würde, erfuhren die Abgeordneten aus der Presse. Ebenso verhielt es sich, als es um den Umzug der Ausländerabteilung ging. Diese zieht nach einer einsamen Entscheidung des Bezirksamtsleiters in das Airport Center und damit an den Rand des Bezirks und weit weg von allen anderen Abteilungen des Bezirksamtes. Auch hierbei spielten die Meinung und das Anhörungsrecht der BV keine Rolle. So wurde ein Mietvertrag für 15 Jahre unterzeichnet – ohne Gelegenheit der Mitsprache. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Timo Kranz, erwiderte auf den Vorwurf der fehlenden Beteiligungsmöglichkeit in einer Sitzung der BV lediglich, dass beim Bestellen von Papier die BV schließlich auch nicht mitreden und dadurch effizientes Handeln der Verwaltung stören würde. Das offenbart nicht nur das komplett nicht vorhandene Verständnis von Demokratie und der Aufgaben, die es als Abgeordneter zu erfüllen gilt, sondern auch Unkenntnis darüber, dass auf Bestreben der Grünen recyceltes Papier im Bezirksamt eingesetzt wird.
In einer anderen hitzigen Sitzung der BV brachte dieses Unverständnis des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Timo Kranz, den Vorschlag des nicht gerade für Polemik bekannten Fraktionsvorsitzenden der CDU ein, sich doch nicht mehr Bezirksversammlungsabgeordneter, sondern Bezirksverwaltungsabgeordneter zu nennen.
Was den Umzug des Bezirksamtes anbelangt, ist bisher nur klar, dass das Technische Rathaus in Eppendorf bleibt. Welche Abteilungen nach dem Umzug dortbleiben werden, steht nicht fest. Wahrscheinlich ist, dass bei dieser Gelegenheit der Bezirksamtsleiter sich von dem Vorsatz, auf keines seiner Kundenzentren im Bezirk verzichten zu wollen, verabschiedet. So sammelt man Fleißpunkte in Sachen Einsparungen.
Aber auch die grüne Vorsitzende der BV scheint in Sachen Demokratie ihre eigenen Vorstellungen zu haben. Abgesehen von einem sehr rigiden Leitungsstil der Sitzungen der BV, die den Rest des dreiköpfigen Präsidiums ausschließt, änderte sie die bewährte Praxis der Vorbereitungsgruppe der „Woche des Gedenkens“. Diese wurde vor Jahren eingerichtet, um im Bezirk durch Veranstaltungen der Opfer des Hitler-Faschismus zu gedenken. Das Präsidium der BV sowie Aktive aus den soziokulturellen Einrichtungen, Vereinen und Gruppen des Bezirks haben gemeinsam das Hauptthema der „Woche des Gedenkens“ ausgesucht. Jetzt gibt sie das Tema vor und stellt damit den Sinn der Vorbereitungsgruppe infrage.
Und hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, dass die eigenen Abgeordneten der Koalition (Grüne und SPD) nicht an Entscheidungen beteiligt werden. Diese werden in einer Dreierrunde aus Bezirksamtsleiter sowie den Fraktionsvorsitzenden der Grünen und der SPD beschlossen. Der Rest schaut in die Röhre und darf sich in der Öffentlichkeit über das effiziente Handeln und Verwaltung freuen. Und wenn mindestens einer aus dieser Dreierrunde die BV als Störfaktor für effizientes Handeln der Verwaltung empfindet, hat der Bezirksamtsleiter kein politisches Gegengewicht, was in einer Demokratie unentbehrlich ist.
Diese Entwicklung ist brandgefährlich und erschreckend. Es wird Aufgabe der Opposition – aber vor allem auch der
Menschen im Bezirk – sein, ihre Rechte einzufordern. Das scheint notwendiger denn je.
Rachid Messaoudi, Redaktion Nordnetz